Eröffnungsrede zur Dreaming-Ausstellung

Auszüge der Eröffnungsrede zur Dreaming-Ausstellung

von Annika Niemann, Berlinannika_niemann

Was passiert eigentlich beim Malen?

[…] Zu sehen sind Bilder aus zwei Schaffensphasen, aus den Jahren 2011 und 2012. Eine Reihe von Bildern ist überschrieben mit „Eruption“, eine andere mit „Dreaming“.

Eruption
Der Begriff „Eruption“ entstammt der Geologie, er beschreibt die Begegnung der Elemente Feuer und Erde. […]
Im Kontext von Angelas Bildern steht „Eruption“ weniger für das, was zu sehen ist – es ist in diesem Sinne keine Darstellung eines Vulkanausbruchs oder eines Pickels, der an die Oberfläche dringt, und sozusagen von einem inneren Bild oder physischen Bild in Malerei übersetzt wurde. Eruption steht hier vielmehr für den Prozess des Schaffens selbst, für eine Kraft, die durch die Malerin Angela hindurchfließt und Spuren auf der Leinwand hinterlässt.

Dreaming
Dreaming ist eine Folge von Bildern, die 2012 entstanden ist[…]. Auch hier steht der Name für die Art und Weise, wie die Bilder entstanden sind. Dreaming – Träumend.

Beim Nachdenken über das „Träumen“ fallen mir zwei unterschiedliche Qualitäten auf. Wenn ich sage „ich träume von“,  dann ist mit Träumen eine Tätigkeit beschrieben, eine Konstruktionsleistung gewissermaßen – man schafft sich tätig seine inneren Bilder, ein intuitives Gestalten einer inneren Welt. Das betrifft besonders Tagträumer.

Es gibt aber auch den etwas altertümlichen Ausdruck „mich träumte“ oder „es träumt mir“ – die Träumende ist hier eigentlich eine Empfangende, die dem Traumbild auf einer inneren Reise, irgendwo in einer Zwischenwelt begegnet; Der Traum ist hier eine Widerfahrnis. Die Träumende ist insofern tätig, als sie sich öffnet für das, was auf sie zukommt, es begrüßt und – empfängt.

Als ich mit Angela darüber gesprochen habe, wie ihre Bilder entstehen, wurde das ganz deutlich: Angela geht nicht los, um die Bilder zu suchen. Sie findet, oder: die Bilder finden sie. Im Prozess des Malens tauchen sie irgendwann aus einer Zwischenwelt in die Gegenwart der Malerin ein, machen sich bemerkbar, entwickeln sozusagen eine Präsenz. Etwas zeigt sich, ist irgendwann plötzlich da.
Die Herausforderung für die Malerin ist es vor allem, wach und achtsam zu sein für den Augenblick, offen zu sein für das, was sich da zeigen will, da zu sein, wenn die Magie passiert, wenn es sich zeigt, es zu begrüßen und auf seinem Weg ins Sein zu begleiten.

Dieses Begleiten kann dann heißen: das, was sich zeigt, herausschälen, es herausarbeiten, verstärken – und gestalten. […]

Was passiert eigentlich beim Bilderanschauen?

„Ich sehe hier einen Fisch“ […] – Wenn wir Bilder zum ersten Mal sehen, sind wir ganz schnell dabei, eine bekannte Begrifflichkeit dafür zu finden, es zu benennen. Wir haben offenbar das große Bedürfnis etwas aus der äußeren Welt, aus der Welt der Dinge, darin wiederzuerkennen, das Gegenüber flugs einzubauen in unsere bekannte Wirklichkeit.
Und jeder von uns hat sein eigenes Bildprogramm mitgebracht – was zu der Frage führt: Sehen wir denn dann überhaupt dasselbe Bild?

Sehen und Handeln

Heidegger hat einmal gesagt: „Man sieht nur das Vorgestellte; doch das Vorgestellte ist das Erfundene“.
Es gibt keine Wahrnehmung, die frei ist von Fiktion. Wenn wir wahrnehmen, dann schaffen wir dabei unsere eigene Erzählung der Welt. Wahrnehmung ist kein passiver Zustand, sondern ist Handlung, ist Performanz.
Und wenn Wahrnehmen Handeln ist, dann können wir unser Wahrnehmen auch gestalten. Wir können die Phänomene sprechen lassen, und uns anrühren lassen von der Farbe im Bild, vom Raum, von der Materialität des Bildes. Als Handelnde bestehen wir auch nicht nur aus Augen: je nachdem, wie wir unseren Körper mit dem Bild in Beziehung setzen, gestalten wir unsere Wahrnehmung anders. Ich kann mich etwa so nah ans Bild stellen, dass meine Nasenspitze fast die Acrylhaut berührt,  sodass die Strukturen verschwimmen und ich die Dramatik eines einzelnen roten Pigment unter grünem Schleier erleben kann.

Ich kann mich imaginär in den Bildraum hineinstellen, im Bild umherwandern, mir einen Ort suchen, wo ich mich ins Bild legen kann, mich im Bild verstecken.
Ich kann mich unter das Bild setzen, den Rücken an die Wand gelehnt, und eine Ahnung seiner Physis, seines Gewichts über mir bekommen.

Ich kann den Ausstellungsraum als ein Koordinatennetz von Blickachsen und Bezügen empfinden, und eine eigene Kartographie dafür aufzeichnen. Ich kann Freundschaften und Verwandtschaften unter den Bildern ausmachen, Spannungen und Kraftfelder.

Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, ein Bild anzuschauen, jenseits von Fischsuppe. Wenn man sich auf das Bild einlässt, und quasi hinter den Fisch schaut, hat es die Kraft, Platz zu schaffen für eine neue Erfahrung.
Und vielleicht ist eine dabei, die die Ecken und Kanten freilegt und mit meinem inneren Störenfried in Resonanz geht. Die etwas in Bewegung bringt. Das wäre traumhaft. Dreaming.

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